"Add Land" (Bureau-B)

Du kannst nicht über das Wasser gehen, aber Du kannst darin schwimmen, „you can’t walk on water / but you can swim in it / the coast is clear / add land from here“: So singt Tellavision auf ihrem neuen Album „Add Land“ über die Ängste, die uns lähmen, und die Ängste, die uns beseelen; unter ihrem Gesang bewegt sich ein ruhiger, leicht schwankender Puls; man hört das Zwitschern eines Magnetfelds; und einen scharf geschnittenen, fahl beleuchteten Beat. Sie braucht nicht viele musikalische Mittel, um ihre Stimme zum Strahlen zu bringen; sie malt ihre Klangbilder mit wenigen Strichen; aber wie sie diese Bilder dann zum Oszillieren bringt und also zum Leben: Das ist weithin einzigartig im deutschen Pop. Und auf „Add Land“, dem vierten Album von Tellavision, gestaltet sie ihre Kunst der musikalischen Reduktion noch virtuoser und delikater als zuvor, und vor allem: noch berührender und wärmer.

Seit einem Jahrzehnt gehört sie zu den aufregendsten Klangerfinderinnen, die wir besitzen; auf bisher drei Alben, zwei EPs und in zahllosen Tracks hat Tellavision einen hoch individuellen Stil ausgebildet, in dem die Abstraktionen der Neuen Musik ebenso widerhallen wie die maschinenhaft-motorischen Rhythmen des alten Krautrock und die körperergreifende Unmittelbarkeit von Techno und Noise. Nicht zuletzt ihre Konzerte waren stets spektakulär: Sie sang und sampelte zugleich ihre Beats aus allen möglichen und unmöglichen Arten von live gespielten Perkussionsinstrumenten; eine Virtuosin der Loopstation: Ingenieurin eines technisch erzeugten musikalischen Ichs, in dem das Eigene und Fremde sich endlos ineinander verspiegeln.

„Add Land“ ist nun ein Aufbruch, eine Veränderung, eine Bewegung auf eine neue Horizontlinie hin, „the coast is clear / add land from here“. Tellavision hat manche Verbindung gekappt, in der sie sich inzwischen gefangen fühlte, zum Beispiel die enge Verbindung mit den Maschinen und die Verstrickung ihrer Stimme in die elektronischen Sounds. Ihr Gesang steht nun plastisch im Vordergrund, auch wenn sie manche Lieder immer noch gerne mit sich selber im Chor intoniert. Doch sind dies nun Chöre, in denen sie ihre Subjektivität nicht mehr verwischt, sondern verdoppelt und vervielfacht und dabei verdeutlicht; und auch wenn es hinter ihr manchmal flirrt und zittert und zweifelt, so spricht doch eine neue Festigkeit und Sicherheit aus ihrer Musik: „Add Land“ ist ein frohes, der Welt zugewandtes, ein heiteres Werk.

„Add Land“ handelt von Ängsten, aber vor allem von der Liebe, mit der sich die Ängste überwinden lassen: die Liebe zu anderen und zu sich selbst. Es geht darum, den Mut zu einem neuen Anfang zu finden und um den Lohn für diesen Mut („Hat Makers“); es geht um Menschen, die sich nicht zu öffnen vermögen unter der Kruste, die sie überzieht („Salty Man“); und um das Glück, das uns die Öffnung zu schenken vermag, wenn wir sie wagen; die Öffnung in die Welt hinein und auf die Gegenwart unserer Existenz: „Drop Utopia, / drop Dystopia, / it’s all here“, wie es in dem Lied „A Living Tale“ heißt.

Wie stets, hat Tellavision auch auf „Add Land“ alle Songs allein geschrieben und aufgenommen. Produziert hat sie das Album gemeinsam mit Thies Mynther, den wir unter anderem aus dem Duo Phantom/Ghost kennen und den Tellavision bei einer ihrer Theater-Arbeiten in den letzten Jahren kennengelernt hat. Die Konzerte zum Album wird sie mit einer Band spielen, mit Schlagzeug, Bass, Synthesizern und ihrer Stimme; ein Gemeinschaftswerk, das sie zugleich in theatralischen Installationen rahmt: Pop als Avantgarde und soziale Plastik, aber jetzt eben vor allem auch: als Pop. So unmittelbar, gegenwärtig und souverän wie auf diesem, ihrem bislang besten Album, hat Tellavision noch nie geklungen: „Drop Utopia, / drop Dystopia, / it’s all here.“

Jens Balzer

Videos

Tellavision – Salty Man (official video)